Ein Film von Ulrich Grossenbacher
Statement des Autors
Als die alte „Migros Lorraine“ in eine neue, schicke Filiale zügelte, wollte das Management der „Migros Aare“, die bestehende Crew von Angestellten nicht in die neue Filiale wechseln lassen. Einige ältere Verkäuferinnen und Verkäufer waren am Boden zerstört. Frau Hirt, seit 25 Jahren an der Kasse, verstand die Welt nicht mehr und weinte. Meine Frau und ich waren von dieser Situation sehr betroffen und organisierten eine Kampagne für die Verkäuferinnen.
Wir informierten einen Journalisten von der „Berner Zeitung“ und initiierten nach dessen Artikel einen Shit Storm in Kommentarspalten und bei der Direktion von „Migros Aare“. Auch den Verein „Läbigi Lorraine“ wurde aktiviert.
Betroffen durch die vielen Zuschriften von Quartierbewohnern zeigte sich das Management der „Migros Aare“ am nächsten Tag bereit, mit dem Verein „Läbigi Lorraine“ als offizielle Vertretung der QuartierbewohnerInnen den Dialog zu suchen. Nach diesem Gespräch durfte die alte „Lorraine Migros“-Crew in die neue Filiale ziehen. „20 Minuten“ berichtete auf der Titelseite. Jetzt bewacht Frau Hirt stolz die Selbstbedienungskassen in der neuen Filiale und verabschiedet sich jedes Mal mit „machets de guet“ von den Kunden.
Nach dem Wechsel in die neue Filiale erzählte sie mir, dass es sie unheimlich glücklich und stolz gemacht habe, dass sich das ganze Quartier für sie eingesetzt habe, da sie doch sonst bei ihrer Arbeit immer als unsichtbar gelte.
Das Happy End in dieser Geschichte trifft genau die Absicht, welche ich mit dem Film „Schwarzarbeit“ anstrebe: Mich nämlich für eine menschliche und lebenswerte Arbeitswelt einzusetzen.
Als Haupterzählstrang im Film Schwarzarbeit begleite ich die unangemeldeten Besuche der Arbeitsmarktkontrolle Bern (AMKBE).
Überfallartig bringen uns die Inspektoren an Orte und zu Menschen, die uns in der heutigen Arbeitswelt eine grosse Misere offenbaren.
Es handelt sich dabei um ein weitergehendes Politikum, da sich unser Land in den letzten Jahren immer wieder heftig mit der europäischen Integration auseinandersetzt. Einer der grössten Streitpunk dabei: Soll die Schweiz die eigenen Lohnschutz-Massnahmen aus der Hand geben und dem europäischen Recht unterstellen.
Emotional fühle ich mich bei diesen Lohnkontrollen mit beiden Seiten verbunden, mit den Inspektoren ebenso wie mit den kontrollierten ArbeiterInnen. Mit den Inspektoren, weil sie für lebenswerte Arbeitsbedingungen und einen funktionierenden Sozialstaat einstehen, und den Kontrollierten, weil sie oft keine andere Wahl haben, als schwarz und ausserhalb gesetzlicher Bestimmungen zu arbeiten. Dabei denke ich auch an die geschätzten 100'000 Sans-papiers in der Schweiz.
Infolge der Globalisierung ist das günstigste Angebot immer in Reichweite. Gleichzeitig delegieren wir Probleme in der Produktion einfach ins Ausland. In Asien, Afrika, in mittel- und südamerikanischen Ländern gibt es weniger soziale Sicherheit. Die Löhne für einfache Arbeiten reichen dort meistens knapp zum Überleben, auch der Umweltschutz kommt erst hinter den wirtschaftlichen Interessen. Wir kennen diese Problematik und fühlen uns ihr gegenüber ausgeliefert und hilflos. Trotzdem konsumieren wir manchmal freudvoll und manchmal achtlos all diese Früchte, Kleider und Waren aus der ganzen Welt.
Mit meinem Film möchte ich aufzeigen, dass man die Löhne nicht dem freien Markt überlassen sollte. Es braucht Schutzmassnahmen für alle. In der menschlichen Natur ist die Bereicherung auf Kosten der Mitmenschen ein starker Trieb. Wir brauchen deshalb Kontrollen, um dieses Verlangen in Grenzen zu halten.
Das Abkommen über die Personenfreizügigkeit zwischen der Schweiz und der europäischen Union 2002 war ein grosser politischer Fortschritt für die Bürger in unserem Land und in Europa. Man hatte neu das Recht, sich niederzulassen wo man wollte, in Europa und umgekehrt auch in der Schweiz. In der damaligen Abstimmung hatte man klugerweise der Schweizer Bevölkerung Lohnschutz versprochen, welcher in Form flankierender Massnahmen kodifiziert wurde.
Die EU erachtete in den letzten fünfzehn Jahren die wirtschaftlichen Interessen einer nach Profit und Wachstum strebenden Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft höher ein, als ein soziales und auf Ausgleich bedachtes Europa. Auch bei den sozialdemokratischen Parteien in Europa kam der Lohnschutz aus der Mode und wurde als nicht mehr prioritär angesehen. Ohne Basis bei den ärmeren Schichten verschwanden die Sozialisten und Sozialdemokraten mehrheitlich von den Schalthebeln der Macht. Ich bin überzeugt, dass die politischen Krisen in der EU und den USA mit Brexit, Gelbwesten, Donald Trump und dem Aufkommen rechtsnationaler und antidemokratischer Bewegungen auf diese Politik zurückzuführen sind. Eine Unter- und Mittelschicht, welche sich im grenzenlosen Arbeitsmarkt auf der Verliererseite sieht, ist sehr empfänglich für fremdenfeindliche Ideologien. Dabei wird verkannt, dass das Problem nicht der polnische Metallbautechniker, die deutsche Informatikerin, der spanische Mauerer oder die rumänische Wäscherin ist. Es sind die grossen Firmen, Auftraggeber und Bauherren, welche sich nicht an die vereinbarten Mindestlöhne halten oder ihre Verantwortung an Subunternehmer delegieren, welche oft schwarzarbeiten lassen oder Angestellte in eine Scheinselbstständigkeit zwingen.
Aber auch der Staat steht in der Verantwortung, welche Vergehen er gegen das Arbeitsrecht duldet oder nicht duldet und wie stark er kontrolliert und sanktioniert.
So ist der Film Schwarzarbeit, welcher mehrheitlich im Kanton Bern gedreht wurde, auch ein europäischer Film, in dem sich globale Auseinandersetzungen zum Thema Arbeit und Gerechtigkeit spiegeln.
- Ulrich Grossenbacher
Ulrich Grossenbacher
Geboren 1958 in Langenthal, Schweiz
1975 Kunstgewerbeschule Basel
1978-1994 Künstler und Restaurator (u.a. Atelierchef der Willy Arn Restaurierungen)
Seit 1995 Weiterbildungen in Filmgeschichte, Kamera, Licht, Regie und Dramaturgie
Seit 1996 freischaffender Kamermann und Filmemacher
2001 Gründung der Firma FAIR & UGLY Filmproduktion GmbH
Seit 2008 Mitglied der Schweizer Filmakademie
Filmografie
Schwarzarbeit
Produktion / Regie / Kamera
Kinodokumentarfilm von Ulrich Grossenbacher, 2022, DCP, 109 min.
Kinder machen
Produktion / Kamera
Kinodokumentarfilm von Barbara Burger, 2017, DCP, 82 min.
Berner Filmpreis 2017
Messies, ein schönes Chaos
Produktion / Regie / Kamera
Kinodokumentarfilm, 2011, DCP, 117 min.
Filmfestival Locarno 2011, Semaine de la critique, Preis SRG-SSR
Berner Filmpreis 2011
nominiert Schweizer Filmpreis 2012, Bester Dokumentarfilm
nominiert Publikumspreis 47. Solothurner Filmtage 2012
Hippie Masala, für immer in Indien
Produktion / Regie / Kamera
Kinodokumentarfilm, 2006, 35mm, 93 min.
Berner Filmpreis 2006
nominiert Schweizer Filmpreis 2007, Bester Dokumentarfilm
Seide, Muthappar und VHS
Produktion / Regie / Kamera
Porträts aus Südindien
Ethnographischer Dokumentarfilm (zusammen mit Damaris Lüthi), 1998, 63 min.
Ein Museumswärter
Dokumentarvideo, 1996, 15 min
Hintertür
Kurzfilm, 1995, 3 min mit Max Rüdlinger und Carlo Lischetti
Kamera
Energiepioniere
Kinodokumentarfilm von Samuel Stefan, 2018
Lomotion AG Filmproduktion
Zaunkönig - Tagebuch einer Freundschaft
Kinodokumentarfilm von Ivo Zen, 2013
Mira Film Zürich
Les Gymnastes
Zweite Kamera neben Gilles Monat, 2013
Kinodokumentarfilm von Gilles Monat
Bande à Part Films Lausanne
Zaffaraya 3.0
Kinodokumentarfilm von Andreas Berger, 2011
Rec tv Bern
Moi c’est moi - ich bin ich
Kinodokumentarfilm von Gabriele Schärer, 2011
Maat Film
Pizza Bethlehem
Kinodokumentarfilm von Bruno Moll, 2011
PS Film
Berner Filmpreis
Zürcher Filmpreis
Sauber und rein
Dokumentarfilm von Ruth Schläpfer, 2007
freihänder filmproduktion GmbH
Wenn ich eine Blume wäre...
Dokumentarfilm von Barbara Burger, 52 ZHdK, 2007
Berner Filmpreis 2007
Alexis Victor Thalberg Stiftungspreis 2008
George Gruntz
Dokumentarfilm von Werner Zeindler, 2007
PS Film GmbH
Heidiland-Heimatland
Schweizer Autoren und ihr Heimatbild, 1998
Dokumentarfilm von Eva Witte, 45 min
SWR
Verleih
Schwarzarbeit
Kinodokumentarfilm von Ulrich Grossenbacher, 2022, DCP, 109 min.
Die Vierte Gewalt
Kinodokumentarfilm von Dieter Fahrer, 2018, DCP, 90 min.
Berner Filmpreis 2018
Kinder machen
Kinodokumentarfilm von Barbara Burger, 2017, DCP, 82 min.
Berner Filmpreis 2017
Zum Beispiel Suberg
Kinodokumentarfilm von Simon Bauman, 2013, DCP, 90 min.
Preisträger CH-Dokfilm-Wettbewerb, Migros-Kulturprozent
Vision du réel 2013, Prix Interreligeux
Dok Leipzig 2013, Offical Selection
Regiepreis des Kantons Bern 2013
Messies, ein schönes Chaos
Kinodokumentarfilm, 2011, DCP, 117 min.
Filmfestival Locarno 2011, Semaine de la critique, Preis SRG-SSR
Berner Filmpreis 2011
nominiert Schweizer Filmpreis 2012, Bester Dokumentarfilm
nominiert Publikumspreis 47. Solothurner Filmtage 2012
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